Blog Post

#11 Die letzten Tage vor der Chemotherapie

  • von Lisa
  • 23 Apr., 2020

September 2019. Über die Entscheidung für eine Chemotherapie und tausend Dinge, die bis zum Start erledigt werden müssen.

Könnt ihr euch noch erinnern, als ich mal geschrieben habe: "...der Berg wird der Kampf meines Lebens und als ich das realisiert habe, wurde der Rucksack voller Steine zum Raketenantrieb. Aufgeben gibts nicht. Keine Option. Auf einmal habe ich herausgefunden, wie ich den fucking Berg Meter für Meter bezwingen kann."

Genau das habe ich empfunden, als es nach monatelangem Suchen, endlich eine Diagnose gab. Ja, die Diagnose ist absolut beschissen. Brustkrebs ist alles andere als die Diagnose, die ich bekommen wollte. Doch es hat mir irgendwie Kraft gegeben. Ich wusste endlich, wer mein Gegner ist und hatte plötzlich richtig richtig viel Energie und Bock, diesen Gegner zu besiegen. Und ich dachte, ich hätte das mit der Operation zum größten Teil geschafft. Ich war richtig guter Dinge und kam mit der Diagnose und der OP so gut zurecht, war richtig gut gelaunt und einfach stolz auf mich. Ich dachte, mein Leben könnte jetzt endlich wieder weitergehen, ohne fast wöchentliche Arztbesuche. Ich war auf einem Höhenflug. Und gerade darum bin ich nach der Nachricht, dass ich doch eine Chemotherapie brauche, tiefer gefallen als bei der Diagnose selbst.

Mich zu entscheiden, ob ich die Chemo machen soll oder nicht, fiel mir schwer. Auf der einen Seite ist es das einzig Logische und Schlauste. Eine zehn Prozent höhere Überlebenschance. Es wäre einfach nur dumm, diese zehn Prozent dem Krebs zu überlassen. Am Ende kommt er doch zurück und dann werde ich mich ärgern, dass ich ihn nicht mit der Chemo schon längst vernichtet habe. Vielleicht hat er sich dann so eingenistet, dass er nicht mehr heilbar wäre. Und ich habe nichts dagegen unternommen. Das würde ich mir nie verzeihen.

Auf der anderen Seite macht mir eine Chemotherapie einfach unglaubliche Angst. Ich weiß nicht, was auf mich zukommt. Wie wird mein Körper auf die Medikamente reagieren? Kann ich das alles aushalten? Bin ich stark genug für so eine Therapie? Meine Ärzte sagen ja. Die Chemo wird nicht nur die Krebszellen töten, sondern, auch alle anderen gesunden Zellen, die den Krebszellen ähneln, bzw. sich in der gleichen Geschwindigkeit teilen. Doch mein Ass im Ärmel sei mein junges Alter. Mein Körper wird das aushalten, nicht daran kaputt gehen, viel besser als im hohen Alter. Trotzdem habe ich Angst. Angst vor der Ungewissheit. Angst vor der Reaktion meines Körpers. Und was soll ich sechs Monate den ganzen Tag machen? Wird mir die Decke auf den Kopf fallen? Arbeiten gehen darf ich zumindest nicht. Dort besteht eine zu hohe Infektionsgefahr und ich werde zu schwach sein. Ohman. Auf was muss ich alles verzichten? Das ist so ungerecht! Ich habe das Gefühl, dass mir gerade ein riesengroßer Teil meiner Freiheit genommen wird. Andererseits ist es NUR ein halbes Jahr. Was ist das schon gegen ein ganzes Leben? Nichts, fast nichts zumindest. Trotzdem wird es sich bestimmt viel länger anfühlen. Schon jetzt fühle ich mich todkrank. Bin ich ja anscheinend auch irgendwie, oder?! Keine Ahnung. Nach der Operation habe ich mich so gesund gefühlt. Wie kann das alles nur möglich sein. Warum ich? Warum bloß ich? Eine Antwort darauf werde ich nicht bekommen.

Ich muss mich den Ängsten stellen und mutig sein. Ich muss diese Chemotherapie machen. Ich muss alles Mögliche möglich machen und diesen Krebs besiegen.

Das auszusprechen ist relativ einfach, doch es auch wirklich zu fühlen, ist eine ganz andere Sache.

Denn sobald ich es ausgesprochen habe, geht es erst richtig los. Eine ungeahnte Masse an zu erledigenden Dingen schlägt auf mich ein. Ich muss einen Termin im Kinderwunschzentrum ausmachen, ein Herzultraschall machen lassen, in eine Portsprechstunde gehen, um zu klären, wann und ob mir ein Port gelegt werden kann. Ich muss meinen Freunden und der Familie erzählen, was passieren wird. Ich muss die Frage, ob mir dann auch die Haare ausfallen werden etwa fünfhundertmal mit ja beantworten. Ich muss mit der Arbeit bzw. meinem Bufdi-Betrieb alles klären und mich da für mindestens ein halbes Jahr verabschieden. Ich muss überlegen, ob ich weiter mein WG-Zimmer behalten und bezahlen kann oder ob ich wieder nach Hause ziehen muss. Vielleicht geht ja auch eine Kombination aus beidem. Ich muss mit einem Taxiunternehmen besprechen, wie meine Krankenfahrten funktionieren. Ich muss zur Vorbesprechung der Chemo gehen und mir anhören, was während der ganzen Zeit alles genau passieren kann. Ich muss mir merken, wie ich mich am Tag der Chemo verhalten soll, wie der Ablauf funktioniert, wie ich zur Blutkontrolle komme, wo ich mich wann wie anmelden muss oder melden kann.

Ich muss so viel. Aber ich kann das nicht. Das ist zu viel. Doch irgendwie funktionierts.

Irgendwie schaffe ich es, nicht im Strahl zu kotzen, als mich die MFA bei der Anmeldung zur Portsprechstunde anmeckert, warum ich keinen Termin hätte, obwohl auf dem Flyer, den ich bekommen habe, extra steht, dass man ohne Termin zur Sprechstunde kommen soll.

Irgendwie bekomme ich es hin, allen zu erzählen, dass ich eine Chemo brauche, ohne zu weinen.

Irgendwie kann ich bei der Besprechung im Kinderwunschzentrum cool bei der Entscheidung bleiben, keine Eizellen oder Teile meiner Gebärmutter für tausende für Euros einzufrieren, sondern "nur" mit einer Spritze alle drei Monate meine Eier zu schützen und es einfach darauf ankommen zu lassen, ob meine Tage und die Möglichkeit, eigene Kinder zu bekommen, irgendwann zurückkommen werden.

Irgendwie bekomme ich das alles hin. Ich habe ja auch total viel Hilfe. Alle unterstützen mich und sind für mich da. Doch mein Humor, meine Bewältigungsstrategie, der lässt mich im Stich.

Ich bin einfach nicht mehr fröhlich und ich hasse es, wenn ich nicht fröhlich bin. Ich fühle mich, als wäre ich gegen eine Wand gelaufen und trotzdem muss ich funktionieren.

Bis zum Tag des ersten Chemozyklus.

An diesem Tag geht dieses taube Gefühl in mir weg und wird durch einen ganzen Sturm von Gefühlen ersetzt.


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