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#13   Chemo Nummer Eins

  • von Lisa
  • 16 Nov., 2020

26.09.2019 Wie es sich anfühlt, wenn die Chemotherapie beginnt.

Mein Rucksack vor mir auf dem Boden, die Beine zusammengepresst, die Jacke noch an. Ich sitze auf der Kante des „Chemosessels“, weiß nicht, was ich tun soll, was ich tun darf. Die Krankenpflegerin hat mich hergebracht und gemeint, dass ich bald von der Ärztin aufgerufen werde. Und dann? Ich habe Angst. Angst vor dem, was gleich passiert, was die nächsten Monate passiert. Angst, dass ich zum zweiten Mal für heute weinen muss. Es ist erst zehn Uhr am Morgen und mir kommt der Tag jetzt schon zu lang vor. Wer meinen letzten Beitrag gelesen hat, weiß, dass mein Morgen schon ein einziger Haufen Scheiße war. Gleich beginnt die Chemotherapie.  Mein ganzer Körper steht unter Spannung und ich weiß nicht wohin mit mir. „Bist du heute zum ersten Mal hier?“, fragt mich die junge Frau gegenüber und auch die zwei anderen älteren Damen im Raum schauen mich neugierig an. Auf mein zurückhaltendes Nicken reagiert sie direkt mit: „Boah, bei meiner ersten Chemo habe ich so geheult!“ Ich lächle schwach und erzähle ihr, dass ich diesen Teil heute schon hinter mir habe. Die drei erklären mir, wo ich meine Jacke aufhängen, meinen Rucksack abstellen und dass ich es mir ruhig bequem machen kann. Die erste Spannung fällt von mir ab und ich betrachte den Raum und die Frauen genauer. Das Zimmer ist relativ klein. Vier Stühle mit Infusionsständern und kleinen Tischchen nebendran. Ein paar Schränke, ein Waschbecken und komische Bilder mit ollen Aufmunterungssprüchen an der Wand. Die Frauen sind schon an die Beutel an ihren Infusionsständern angehängt und wirken nicht, als hätten sie dabei Schmerzen. Die jüngere Frau hat Kopfhörer in den Ohren und ist mit ihrem Tablet beschäftigt. Die beiden älteren Frauen unterhalten sich über ihre Blasenbeschwerden. Ingwer soll helfen. Eine von ihnen nennt ihre Perücke Wuffi. Na das können ja wunderbare nächste Stunden werden…

Endlich höre ich meinen Namen. Ich stehe auf und gehe in die Richtung, aus der dir Stimme kam. Vor dem Behandlungsraum steht eine junge Ärztin mit breitem Lächeln und ich möchte sofort mit ihr befreundet sein. Sie bittet mich herein. Dieser Raum ist größer als der mit den Stühlen. Hier werden immer die Gespräche vor einer Chemo geführt und der Port angestochen. Sie fragt mich wie es mir geht, doch ich weiß, dass man mir ansehen kann, dass ich kurz vorm Wegrennen bin.

Vor zwei Tagen wurde mir mein Port unter die Haut operiert. Ein Port ist ein dauerhafter Zugang aus einer kleinen Kammer aus Kunststoff mit einer Membran und einem flexiblen Schlauch, der in eine herznahe Vene mündet. Meiner wurde unter mein rechtes Schlüsselbein auf einen Muskel genäht. Man kann ihn gut tasten. Bei der Operation wurde der Port schon direkt mit einer speziellen Nadel von außen angestochen, also durch die Haut - durch die Membran - in die Kammer, sodass es heute nicht auch noch gemacht werden muss.

Die Ärztin muss heute also nur das Pflaster (welches nur wegen der noch frischen Wunde und schon eingestochenen Nadel über dem Port klebt! Später wird dort kein Pflaster mehr sein.) abziehen und den Port durch die Nadel einmal Spülen. Salopp gesagt bedeutet das, dass eine schon abgefüllte Spritze mit Wasser an den Schlauch der Nadel geschlossen wird und nur wenn sich die Spritze einfach zusammendrücken lässt und das Wasser geschmeidig hineinläuft, die Nadel richtig sitzt und die Chemo beginnen kann. Lustigerweise kann man es schmecken, wenn das Wasser in mich läuft. Der Geschmack ist allerdings so eklig, dass wenn ich jetzt, Monate nach der Chemotherapie, etwas schmecke oder rieche, dass mich daran erinnert, es mir sofort kotzübel wird. Wenn die Nadel nicht richtig sitzen würde, könnten später die Medikamente nicht direkt ins Blut sondern ins umliegende Gewebe laufen und das wäre super gefährlich.

Da alles einwandfrei klappt, kann ich zurück zu meinem Platz gehen. Kurz nachdem ich wieder auf dem Stuhl bei den anderen Frauen sitze, kommt auch schon die Krankenpflegerin mit ganz vielen Beuteln und Schläuchen und fängt an, alles an diesem Infusionsständer aufzuhängen und an Geräte anzuschließen. Sie erzählt mir, was das alles ist, aber ich verstehe kein einziges Wort und das Chaos in meinem Kopf wird immer größer. Ein Schlauch, in dem alle anderen münden, spannt sie schließlich in so ein Gerät ein, das anscheinend reguliert, wie schnell die Flüssigkeiten in mich fließen, und verbindet ihn mit der Nadel in meinem Port. Es beginnt und ich bekomme das komischste Gefühl aller Zeiten.

Davon, dass da gerade etwas in mich reinläuft, spüre ich NICHTS. Das Bewusstsein, dass und Was da allerdings gerade in mich fließt ist einfach nur beängstigend. Diese Medikamente sind Gift. Sie zerstören Zellen. Die Bösen, aber eben auch die Guten. Was nehme ich hier in Kauf? Habe ich die richtige Entscheidung getroffen? Ja, ganz bestimmt. Es muss die richtige gewesen sein. Ich will leben. Bestimmt wird alles gut werden.

Ich versuche mich abzulenken. Höre Musik, höre den Frauen zu. Muss ihnen beantworten wie jung ich bin. Muss ihnen erzählen, was ich gerade machen würde, wenn ich gesund wäre. Möchte nicht mehr hier sein. Möchte ihnen nicht mehr zuhören. Zwischendurch piepst immer wieder irgendein Gerät und eine Krankenpflegerin muss ein paar Knöpfe drücken oder einen Beutel neu anhängen. Irgendwie ist es hier ganz schön stressig. Stressig und anstrengend. Mist, ich glaube ich muss Pipi. Wie soll das jetzt gehen? Eine Pflegerin hilft mir, die Stromkabel von den Geräten zu lösen und ich kann in Schneckentempo den Infusionsständer, an dem ich hänge, vor mir her schieben bis zur Toilette. Auf dem Flur muss ich an so vielen Menschen vorbei und ich habe das Gefühl, dass mich alle anstarren. Zum ersten Mal fühle ich mich todkrank.

Zurück auf dem Chemostuhl versuche ich mich wieder zu entspannen. Doch auf einmal kribbelt meine Nase und mein Kopf fängt an zu pochen. An meinem Stuhl hängt ein roter Notfallknopf, den ich drücken soll, wenn es mir nicht gut geht. Aber sind diese Kopfschmerzen schon ein Notfall? Ich warte noch ein bisschen ab und hoffe, dass vielleicht eine Krankenpflegerin gleich zufällig in den Raum kommt. Natürlich hoffe ich vergebens und ich erzähle den anderen Frauen im Raum, dass ich irgendwie ganz schön komische Schmerzen habe und sie meinen ich solle direkt den Knopf drücken. Sofort nach meinem Notruf kommen zwei Pflegerinnen und die nette Ärztin besorgt angerannt und ich erkläre mich. Ich kann kaum meine Augen offenhalten, alles kribbelt und pocht. Die Chemo wird pausiert, bis die Schmerzen nachlassen, danach geht es weiter. Diese Kopfschmerzen sein typisch für das eine Medikament (Cyclophosphamid). Langsam wird es besser und nach ca. zwanzig Minuten Pause geht es wieder weiter.

Nachdem alle Medikamente fertig in mich gelaufen sind, wird die Nadel aus dem Port gezogen. Ich habe ein merkwürdiges Gefühl. Ich bin müde und schlapp und voller Erwartung, was in den nächsten Stunden mit meinem Körper wohl passieren wird.

Ich rufe meine Mama an, dass ich fertig bin, packe meinen Rucksack zusammen, ziehe meine Jacke an und ich kann gehen.


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