#10 Die gesamte Diagnose – wie geht's jetzt weiter?
- von Lisa
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- 27 Feb., 2020
September 2019. Viel Aufregung, die gesamte Diagnose, die Besprechung wie es jetzt weiter gehen kann und die große Frage, ob ich eine Chemotherapie über mich ergehen lassen werde.
Zwei Tage nachdem mir eine Ärztin verraten hat, dass ich
eine Chemotherapie brauche, treffe ich am 05.09.2019 meinen Arzt, um ganz genau
zu besprechen, was nach der Operation alles in meinen Brüsten gefunden wurde
und wie es jetzt weiter geht. Der Arzt, der mich nun schon drei Mal operiert
hat. Der Arzt, der mir gesagt hat, dass ich Brustkrebs habe. Der Arzt, dem ich
irgendwie mein Leben anvertraut habe.
Der Termin ist erst mittags. Den gesamten Morgen und Vormittag bin ich so
aufgeregt, wie noch nie. Sitze die ganze Zeit auf dem Klo. Mir ist kotzübel.
Das Wartezimmer ist randvoll, mir ist viel zu warm und ich kann einfach nicht
mehr warten. Ich muss jetzt wissen, was los ist.
Dem Arzt gegenübersitzend werde ich endlich ruhiger und ich kann mich auf
einmal richtig konzentrieren. Zum Glück. Denn jetzt wirds ernst. Es geht hier
um mein Leben.
Er beginnt mit den Fakten. Insgesamt wurden in der linken Brust sechs
Tumorherde gefunden. Der kleinste hatte einen Durchmesser von 4mm, der größte
Tumor 11mm. Krass, dass man das nicht ertasten konnte. Das sei bei großen
Brüsten nicht ungewöhnlich, meint der Arzt. Oft kann man sie erst ab zwei bis
drei Zentimetern tasten. Wenn man Glück hat. Dass es bei dieser Art von Tumoren
aus der Brustwarze blutet, sei sehr ungewöhnlich und hat mich im Prinzip
gerettet. Ohne dieses Bluten wären die Tumore vermutlich zu spät entdeckt
worden. Ich muss schlucken und begreife nur ansatzweise, was das eigentlich
bedeutet.
Die Tumore sind hormonabhängig, was bedeutet, dass sie nur in Verbindung mit
den weiblichen Hormonen leben und wachsen können. Das ist gut für mich, da das
für mich heißt, dass wenn man medikamentös meine Hormonproduktion einstellt,
neue böse Krebszellen dieser Art nicht überleben können und wieder absterben, ohne
zu bösartigen Tumoren zu werden. Doch leider reicht das nicht, um meine Heilung
zu garantieren. Denn die Krebszellen haben sich schneller geteilt, als noch
vor der Operation vermutet wurde. Tumore haben eine Teilungsrate: In der
Operation wird geschaut wie viele Zellen sich in dem Moment teilen. Bei mir lag
diese Rate bei 20 Prozent. Das ist kein katastrophaler Wert, bei vielen Frauen
ist er viel höher. Trotzdem bedeutet das leider, dass sich wahrscheinlich
kleinste bösartige Zellen von den Tumoren gelöst haben und schon in meinem
Körper herumschwirren. Angesetzt und zu neuen Tumoren gebildet (würde man dann
Metastase nennen) haben sie sich noch nicht. Doch das könnte noch passieren und
darum empfiehlt mir mein Arzt eine Chemotherapie. Damit alle irgendwo im Körper
herumgeisternden Krebszellen getötet werden und sich nirgendwo festsetzen
können. Denn solche Metastasen sind weitaus schwerer wieder loszuwerden als die
jetzigen Krebszellen, manchmal ist das sogar unmöglich. Puh. Ganz schön viel
Information.
Wir fassen noch mal zusammen. Es waren sechs Tumore, in der Größe von vier bis
elf Millimeter, nicht sehr aggressiv, trotzdem zu schnell wachsend und
hormonabhängig. Alles in allem bedeuten diese Eigenschaften, dass dieser
Brustkrebs "gut" behandelbar ist. Wenn 100% die komplette Heilung
wären, habe ich 80% mit der Operation, also der Entfernung der Tumore,
geschafft. Weitere 10% könnte die Chemotherapie erreichen. Noch mal 6% eine
Anti-Hormon-Therapie, bei der meine Hormonproduktion eingestellt wird. Das
dauert so etwa fünf bis zehn Jahre. Fünf bis Zehn Jahre, in denen ich unter den
klassischen Beschwerden der Wechseljahre leiden werde. Fünf bis zehn Jahre
keine Periode, also auch keine Schwangerschaft. Fünf bis zehn Jahre täglich
Tabletten und alle drei Monate Spritzen. Klingt irgendwie so unbegreiflich. 4%
bleiben bei dieser ganzen Rechnung übrig. Restrisiko. Aber gut, ich könnte auch
gleich die Treppe runterstolpern und dabei sterben. Das Leben hat so oder so
keine Garantie.
In der rechten Brust, erzählt mir mein Arzt auf Nachfrage, wurden keine
bösartigen Zellen gefunden. Trotzdem bin ich erleichtert, dass auch sie
komplett entfernt wurde. So muss ich mir nicht noch ewig Gedanken machen, ob
nicht doch etwas übersehen wurde.
Die Chemo würde folgender Maßen ablaufen: Ich bekomme drei Medikamente in insgesamt 16 Sitzungen. Epirubicin, Cyclophosphamid und Paclitaxel. Abgekürzt auch unter ECP bekannt. Ich frage mich, was der Arzt mit "bekannt" meint, aber nun ja. Epirubicin und Cyclophosphamid bekomme ich zeitgleich insgesamt vier Mal und im Abstand von jeweils drei Wochen. Danach wechseln die Medikamente und ich bekomme 12 Mal Paclitaxel im Abstand von einer Woche. Also insgesamt 24 Wochen. Ein halbes Jahr Chemotherapie.
Mein Herz rast. Das kommt mir alles so unwirklich vor. Ich muss Nachdenken. Das Gespräch dauert jetzt schon fast zwei Stunden. Wir beschließen, dass es fürs erste reicht und wir alle Informationen erstmal sacken lassen müssen. Wir verabschieden uns und gehen nach Hause. Am Abend telefoniere ich mit meiner Zimmernachbarin von der Zeit auf der Station. Sie hat heute auch ihre Ergebnisse mitgeteilt bekommen. Das tut mir gut. Ich habe das Gefühl, dass sie mich versteht und das gleiche Chaos im Kopf hat, wie ich. Eine Chemo hat so viele Nachteile, Nebenwirkungen und Risiken. Aber würde ich mein Leben riskieren, wenn sie nicht machen will? Wie soll ich mich bloß entscheiden?!