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#8.2  Schnipp schnapp Brustkrebs ab: meine Mastektomie

  • von Lisa
  • 22 Feb., 2020

August 2019. Meine beidseitige modifiziert radikale Mastektomie, mein Aufenthalt auf der Intensivstation, die restlichen Tage in der Klinik und Brustprothesen.

16. August 2019. Wieder ein Datum in meinem Leben, das ich wohl nie vergessen werde. Der Tag, an dem ich mit Brüsten und Krebszellen eingeschlafen und ohne Brüste wieder aufgewacht bin. Ob auch alle Krebszellen entfernt werden konnten, steht noch nicht fest. Alle Zeichen sprechen dafür, Gewissheit kann nur die Pathologie, also das Labor, nach der genausten Untersuchung des gesamten entnommenen Gewebes geben. Das dauert mindestens zwei Wochen. Ich bin super zuversichtlich und bilde mir ein, es gebe für mich überhaupt nicht die Option, jetzt noch eine Chemotherapie oder Bestrahlung zu benötigen. Mein Kampf gegen diese Scheiße geht jetzt schon so lange, da muss ich das nicht auch noch bewältigen. Das wäre doch echt gemein. Mein Gehirn redet mir ein, dass je gelassener ich hinnehme, dass mir der Krebs meine Brüste nimmt, desto wahrscheinlicher ist es, dass er sich denkt: „Puh die Lisa, bei der beiße ich mir eh die Zähne aus. Für sie ist die Sache jetzt gegessen. Sie hat das toll gemacht, die meckert und beschwert sich nicht. Das belohne ich. Nach ihrer Operation darf ihr Leben einfach wieder weitergehen.“ Dass das pure Wunschvorstellungen waren, bekomme ich 19 Tage nach der OP mitgeteilt.

Es fällt mir unfassbar schwer zu beschreiben, wie ich mich gefühlt habe, als ich nach der Operation auf der Intensivstation der Frauenklinik aufgewacht bin. Absolut nicht wie ich selbst. Ich war unglaublich müde und schwach. Jede Bewegung, jeder Gedanke, jedes Wort war anstrengend. Und trotzdem war das Gefühl der Erleichterung am allerstärksten. So viele Menschen warten auf eine Nachricht von mir. Ich versuche die Nachricht zu tippen und schlafe bei der Hälfte ein. Regelmäßig werden meine Werte gemessen und die Wunden kontrolliert. Mein Arzt kommt nach ein paar Stunden und berichtet von der Operation. Es ist alles gut gelaufen. Brustdrüsen, Milchgänge, Brustwarze und Hautflächen konnten entfernt werden und der Wächterlymphnoten, der noch während der Operation auf Krebszellen untersucht wurde, sei gesund gewesen. Wuhuu! Ich bin so froh. Schlafe wieder ein. Auf Abendessen habe ich keine Lust, bei dem Versuch zu sitzen macht mein Kreislauf nicht mit. Ich darf klingeln, wenn die Schmerzen mehr werden und ich die nächste Dosis Schmerzmittel brauche. Drei Mal muss ich in die Bettpfanne pinkeln und mich drei Mal von der Krankenpflegerin abwischen lassen. Unangenehm. Aber was solls. Ich schlafe am Abend nun endlich ein und am nächsten Tag fühle ich mich schon wieder wie ich selbst. Meine Stimme ist auch wieder meine. Die Krankenpflegerin hilft mir die ersten Schritte zu gehen und es ist anstrengender als ich gedacht hätte. Ich kann kaum aufrecht stehen, habe Angst, dass wenn ich mich strecke die Narben aufreißen. Ist natürlich völliger Quatsch, trotzdem bleibt das Gefühl noch eine Weile. Meine Arme zu bewegen schmerzt und ist nur sehr eingeschränkt möglich. Ich darf mich nicht mit meinem Körper auf ihnen abstützen. Endlich kann ich allein auf eine richtige Toilette gehen und brauche gefühlte Stunden, weil ich mich so vorsichtig bewegen muss. Vor dem „Badezimmer“ steht schon mein Bett bereit und ich werde auf die normale Station gebracht.

Insgesamt muss ich sieben Tage dortbleiben. Zwei bis drei Mal täglich werden meine Wunden und die Drainagen kontrolliert. Drainagen sind Schläuche, die unterhalb der Wunden aus der Haut kommen und in einer Flasche enden, um Wundflüssigkeit zu sammeln. Erst wenn innerhalb der letzten 24 Stunden ein bestimmter Millimeterwert nicht überschritten wurde und mit den Wunden alles ok ist, kann ich entlassen werden und nach Hause. 

eine der zwei Drainagen, Blaubeeren und ich im Krankenhausbett

Entgegen meiner Erwartung habe ich keine Angst davor mir die Narben anzuschauen. Es fühlt sich nicht an, als wären sie meine Feinde. Ich bin irgendwie total glücklich und fühle mich stark, so stark wie noch nie. Das Böse ist weg. Eineinhalb Jahre habe ich auf diesen Moment gewartet: Die Beseitigung der Ursache für das Bluten aus meiner linken Brustwarze. All die negativen Aspekte, die diese „Beseitigung“ mit sich bringt, rücken erstmal in den Hintergrund. Selbst dass die fehlenden Brüste nun meinen Bauch sehr in den Vordergrund stellen, finde ich eher lustig.

Während des Klinikaufenthalts passiert mehr als ich gedacht hätte. Eine Physiotherapeutin zeigt mir Übungen, wie die Narben beweglich bleiben und meine Muskeln nichts Komisches im Brustbereich anstellen. Ich darf die nächsten Wochen nichts Schweres heben und keine ruckartigen Bewegungen machen. Vom Sozialdienst der Klinik bekomme ich erzählt, dass ich jetzt sowohl Recht auf eine Reha als auch auf einen Schwerbehindertenausweis habe. Auch eine Psychotherapeutin stellt sich bei mir vor und redet ein bisschen mit mir. Ich nehme mir vor sie wieder anzurufen, denn mit ihr zu reden kann bestimmt nicht schaden. Der letzte Besuch ist eine Mitarbeiterin eines Sanitätshauses. Sie bringt einen ganzen Koffer voller Brustprothesen und spezieller BHs mit. Ich wusste vorher nicht, dass mir die Krankenkasse Prothesen bezahlen würde und bin mir eigentlich sehr sicher, dass ich sie gar nicht tragen möchte. Das kommt mir irgendwie falsch vor. Als würde ich mir selbst etwas vormachen. Erst bin ich super stolz auf mich, dass ich selbstbewusst genug bin, um meinen flachen Brustkörper okay zu finden und dann ziehe ich trotzdem falsche Brüste an? Klingt nicht nach mir. Dass das bescheuerte Gedanken sind, verstehe ich erst viel später. Beides ist ok. Ich kann zu meinen Narben und nicht vorhandenen Brüsten stehen und darf trotzdem die Prothesen anziehen, wenn ich Lust darauf habe!

Wieder Zuhause bin ich für zwei Wochen krankgeschrieben und finde es einfach nur doof. Denn ich fühle mich gesund. So gesund wie die gesamten letzten Monate nicht. Ich habe das Gefühl, dass ich diesen Kampf nun endlich gewonnen habe. Doch diesen Sieg habe ich mir wohl zu einfach vorgestellt.

Wieder Zuhause und happy, weil ich denke, dass ich gesund bin.

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