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#7  Diagnose Brustkrebs

  • von Lisa
  • 22 Nov., 2019

Juli 2019. Wie ich vor meinem Arzt sitze und mir gesagt wird, dass ich Brustkrebs habe. Und meine Entscheidung, meine Brüste über den Haufen zu werfen.

11.07.2019. Das hier ist schwer. Schwer, weil es nicht genug Worte für all die Gefühle gibt, die dieser Tag ausgelöst hat. Dieser Tag hat mein Leben verändert.

Zum hundertsten Mal gehe ich durch die verglaste Drehtür in das Gebäude, in dem sich das Brustzentrum der Frauenklinik befindet. Inzwischen kenne ich den Weg bis zur Anmeldung problemlos. Das Gebäude, die Flure, die Aufzüge kommen mir nicht mehr riesig und einschüchternd vor, sondern irgendwie vertraut. Ich steige in den Aufzug und fahre nach oben, einmal links, einmal rechts und stehe vor dem Anmeldetresen. Ich werde auffallend freundlich begrüßt, denke mir aber nichts dabei und setze mich nochmal ins Wartezimmer. Alles wie immer.
Heute bin ich allein hier. Am Telefon wurde mir ja gesagt, es sei nichts Schlimmes, also muss meine Mama nicht extra von Zuhause nach Mainz kommen. Das wäre ja völlig verrückt und unnötig.
Ich bin hibbelig und habe Angst, dass mir gleich wieder gesagt wird, dass nichts im Gewebe gefunden wurde. Das wäre das Schlimmste für mich. Bestimmt wäre dann auch die Geduld meiner Ärzte am Ende und sie würden nicht mehr weitersuchen. Dann wäre alles umsonst gewesen.
Ich steigere mich in diese Gedanken rein, bis ich meinen Namen höre. Mein Arzt begrüßt mich und fragt, wie es mir geht. Ich antworte, ich sei aufgeregt. Er atmet tief durch, schaut mir in die Augen und sagt:
"Ich habe schlechte Nachrichten. Sie haben Brustkrebs."
Entgegen der offensichtlich erwarteten Reaktion meines Arztes, fange ich nicht an zu weinen. Ich bin komischerweise nicht mal überrascht. Vermutlich wusste es mein Unterbewusstsein schon viel länger. Ein knappes "ok" bekommt er von mir zu hören. Das Ausmaß der Nachricht schafft es nicht bis in mein Inneres. Sie prallt an einer Mauer ab, die meine Gefühle schützt. Die Mauer sorgt dafür, dass ich weiter funktioniere. Auf seltsame Art und Weise bin ich erleichtert. Endlich ein Ergebnis. Endlich weiß ich, was los ist. Ich will einfach nur wissen, was jetzt zu tun ist. So schnell wie möglich brauche ich einen Schlachtplan. Also beginnt mein Arzt, mir alles genau zu erklären.
In dem entnommenen Gewebe wurden vier Tumorherde gefunden. Teile davon am Rand der Probe. Das heißt, der Rest der Tumore befindet sich noch in der Brust. Außerdem geht man davon aus, dass sich noch mehr bösartiges Zeug in der Brust befindet. Vor allem in der Nähe des dritten Clips, der bei der Vakuumbiopsie mit eingesetzt, bei der letzten Operation aber nicht mit rausgeholt wurde.
Es gibt jetzt zwei Optionen: Entweder man macht nochmal eine kleine Gewebeentnahme um den dritten Clip herum, um zu sehen, ob sich dort tatsächlich auch noch bösartige Tumore befinden. Oder man macht direkt eine Mastektomie. Das bedeutet, man nimmt die ganze Brust ab, also sowohl alle Milchgänge, als auch die Brustdrüsen und sogar die Brustwarze. Allerdings kann nicht brusterhaltend, operiert werden, da die Tumore zu nah an der Haut liegen. Das Risiko, dass Tumorrückstände an der erhaltenen Haut zurückbleiben, wäre zu hoch. Natürlich kann ich meine Brust wieder aufbauen lassen, aber frühstens in sechs Monaten.
Die Entscheidung fällt mir nicht schwer, allerdings möchte mein Arzt nicht, dass ich mich sofort entscheide, sondern in Ruhe darüber nachdenke.
Dazu kommt, dass in der rechten Brust ja auch noch Auffälligkeiten auf den MRT-Bildern zu sehen waren und sich darum zusätzlich gekümmert werden muss. Mir wird vorgeschlagen, dass man nun rechts genau das gleiche Prozedere durchgeht, wie links. Also MRT-gesteuerte Vakuumbiopsie mit Clipeinlage, operative Gewebeentnahme um den Clip und dann schauen, was weiter operiert werden muss usw. Klingt nach einem super langen Weg. 

Gute Nachrichten sind allerdings, welche Eigenschaften die Tumore haben. Sie sind hormonabhängig und nicht allzu aggressiv. Das heißt gut behandelbar. Vielleicht brauche ich nicht einmal eine Chemotherapie oder Bestrahlung. Nur eine Antihormontherapie. Das heißt, es wird durch Tabletten und Spritzen die Hormonproduktion eingestellt und ich werde quasi in die Wechseljahre versetzt. Die Tumore können nämlich nur in Verbindung mit den weiblichen Hormonen wachsen, sie sind quasi ihre Nahrung. Ohne Nahrung können sie nicht überleben oder sich gar neu bilden. Sicher weiß man das jedoch erst nach der "großen Operation", aber vielleicht habe ich ja Glück.

Mein Arzt meint, dass die ganzen Informationen, erstmal richtig ankommen und realisiert werden müssen. Ich soll ein paar Nächte darüber schlafen, mit meinen Eltern und Freunden sprechen und zwischen all der Trauer und Wut werde ich einen klaren Moment haben und wissen wie ich mich entscheiden soll. Dann soll ich anrufen und wir besprechen die weitere Vorgehensweise.
Diese Worte haben mir unheimlich geholfen.
Er sagt mir noch, dass es in der Klinik einen psychologischen Dienst gibt, der von meinem Termin gerade weiß und ich die Möglichkeit habe, jetzt dort hinzugehen. Doch ich verneine, bedanke und verabschiede mich, bekomme an der Anmeldung noch einen mitleidigen Blick zugeworfen und verlasse das Gebäude.

Ich stehe draußen. Was jetzt? Was soll ich tun? Ich muss es allen sagen. Wie soll ich das schaffen? Ich kann das nicht. Ich weiß nicht wohin mit mir. Alle warten auf eine Nachricht von mir. Aber ich kann es einfach nicht. Ich kann niemandem Zuhause jetzt sofort das Herz brechen, dafür muss ich erst selbst klarkommen. Ich rufe auf der Arbeit an, die sind hier, hier in meiner Nähe. Nicht 80 km entfernt, wie alle, die jetzt darauf warten, dass ich mich melde.
Bisher ist noch keine Träne geflossen, aber als ich die Stimme am anderen Ende der Leitung höre, brechen sie aus und ich kann nicht richtig atmen. "Ich kann es nicht aussprechen." Stille. "Es ist Brustkrebs." mehr weiß ich nicht mehr. Ich soll zu ihnen kommen. Ich laufe zur Bushaltestelle, verfahre mich drei Mal. Stehe völlig neben mir. Meine Mama ruft an. Ich schaffe es nicht, nicht ranzugehen und hebe ab. Es folgt das schwerste Telefonat meines Lebens. Auf der Arbeit werde ich aufgefangen und meine Kollegen werden zu Freunden. So langsam verzieht sich der Nebel in meinem Kopf, die Nachricht sickert durch. Ich schreibe meinen besten Freunden zuhause kurze Nachrichten und telefoniere auch mit meinem Papa. Später fahre ich nach Hause. Alles zieht an mir vorbei, ich bin fassungslos, realisiere gar nicht, was da gerade mit meinem Leben passiert.

emotional völlig durcheinander

Das Wochenende ist voll von Menschen, die ich traurig mache, ohne etwas dafür zu können. Ich treffe meine Entscheidung und befinde mich ein paar Tage später wieder gegenüber von meinem Arzt. Ich bin wieder allein hier. Ich wollte das so. Meine Eltern habe ich Zuhause gelassen, das brauche ich so. Ich muss diese Entscheidung allein treffen. Es ist mein Körper, mein Rest des Lebens. Das ist super unfair von mir, denn eigentlich betrifft es ja doch uns alle. Aber sie akzeptieren es und stehen trotzdem zu hundert Prozent hinter mir. Sie sind einfach da. Ich liebe sie dafür.

Mein Arzt geht mit mir noch einmal alles durch, erklärt in Ruhe, was ich bis jetzt noch nicht verstanden habe und fragt mich dann, wie ich mich entscheide. Ich sage ihm, was mir seit Monaten schon im Kopf herumschwirrt: Beide Brüste müssen ab. Alles andere kommt für mich nicht mehr in Frage. Er akzeptiert meine Entscheidung, kann sie verstehen. Wir haben einen Plan. Eine beidseitige modifiziert radikale Mastektomie.

Ich fühle mich sicher, bekomme endlich wieder Mut. Fühle mich stark. Stark genug, für einen flachen Oberkörper und zwei riesige Narben.


Ausschnitt aus dem Aufklärungsbogen für die große Operation.

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