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#8.1  Noch 30 Tage mit BH

  • von Lisa
  • 17 Dez., 2019

Juli 2019 - August 2019. Meine Bewältigungsstrategie, die Wächterlymphknoten-Markierung, die Nacht vor der großen Operation und mein Arzt kurz vorm Narkoseschlaf.

Zwischen Diagnose und Operation lagen vier Wochen. Das war meine Entscheidung. Eigentlich sollte die Operation relativ zügig nach dem Gespräch stattfinden. Allerdings hätte ich dann sowohl meinen 20. Geburtstag im Krankenhaus feiern als auch unseren schon ewig geplanten Familien-Sommerurlaub absagen müssen. Beides wollte ich vermeiden und mein Arzt gab mir das Ok. So hatte ich dreißig Tage Zeit über alles nachzudenken. Ich musste mich nicht Hals über Kopf damit abfinden, dass mein Leben jetzt anders verläuft als gedacht. Ich konnte diesen riesigen zu verarbeitenden Brocken, der da vor mich geworfen wurde, Stück für Stück kleinhacken und mir in Ruhe überlegen, wie ich diesen Weg schaffen kann, der da nach dem Brocken auf mich wartet. Nach wie vor bin ich sehr glücklich über diese Entscheidung und die Möglichkeit, dass die Operation nicht sofort durchgeführt werden musste. 

Aus unserem Sommerurlaub.

Meine Bewältigungsstrategie, wie ich den Brocken klein bekomme, hatte ich schnell herausgefunden. Humor. Sobald sich die Gelegenheit ergab, habe ich Witze über mich selbst, die Krankheit und ihre Folgen gerissen. So konnte ich das irgendwie für mich erträglich machen und akzeptieren. Das hat ziemlich gut funktioniert und mir Stärke und Mut gegeben. Hauptsache kein Drama daraus machen. Das ist es nämlich nicht. Es sind nur Brüste. Ich muss nur meine Brüste abgeben und bekomme im Gegenzug dafür die Chance auf ein langes gesundes Leben. Für mich klingt das sogar nach einem ziemlich fairen Tausch. Es hätte mich viel viel schlimmer treffen können.

So bin ich dann tatsächlich froh, als es endlich soweit ist und ich am 15.08.2019, ein Tag vor der Operation, um 7 Uhr morgens vor der Anmeldung von der Station, auf der ich jetzt zum dritten und hoffentlich letzten Mal liege, stehe. Heute wird links mein Wächterlymphknoten markiert. Das muss immer ein Tag vor der OP gemacht werden und so bin ich heute schon hier.
Natürlich geht erstmal alles schief. Für mich ist bisher kein Bett bereit, weil ich auf dem Plan der Schwestern erst ab morgen auftauche. Die Ärzte bei der Lymphknotenmarkierung, die zufällig in einem komplett anderen Gebäude stattfindet, warten aber anscheinend schon auf mich. Ich stelle also meinen Koffer erstmal hinter die Anmeldung, bekomme meine Akte in die Hände gedrückt und soll schnell loslaufen. Warum muss es direkt stressig starten? Ich hasse das.
Dort angekommen, verlaufe ich mich erstmal in dem Gebäude, werde dann aber eingesammelt und in den Untersuchungsraum gebracht. Oberkörper freimachen. Ich versuche, das Gefühl meinen BH auszuziehen zu genießen. Heute ist der letzte Tag, an dem ich das kann. Ab morgen brauche ich ihn nicht mehr. Das hier sind die letzten Menschen, die vor der OP morgen meine Brüste sehen. Ist irgendwie echt verrückt. Ich versuche, es nicht traurig zu finden. Es werden vier Spritzen mit leicht radioaktivem Kontrastmittel rund um meine Brustwarze gespritzt. Jetzt muss ich eine Stunde warten und dabei meine Brust massieren, damit die Lymphknoten das Kontrastmittel aufnehmen oder so. Dazu werde ich wieder zurück auf die Station geschickt. Dort habe ich immer noch kein Zimmer und so sitze ich 45 Minuten im Wartezimmer und komme mir gar nicht komisch dabei vor, meine Brust zu massieren. Zurück bei der Nuklearmedizin liege ich auf einer Liege und werde in ein kegelförmiges Gerät geschoben, dessen Namen ich vergessen habe. Etwa 20 Minuten darf ich mich nicht bewegen, dann sind die Aufnahmen fertig. Nun wird noch mit einem kleinen Stab, der mich an einen Mini-Metalldetektor erinnert, über meine Achsel gefahren. Man hört ein Piepsen, das immer schneller und kräftiger wird, je näher die Ärztin an den „radioaktiv markierten Lymphknoten kommt“. An der Stelle, an der es ununterbrochen piepst, macht sie mit einem Stift ein Kreuz auf die Haut, damit der Operateur morgen weiß, wo sich etwa der Wächterlymphknoten befindet. Dieser wird dann während der OP untersucht. Wenn er gesund ist, sich dort also keine Krebszellen nachweisen lassen, ist das ein sehr gutes Zeichen: Dann hat der Krebs noch nicht gestreut und es befinden sich keine Metastasen im restlichen Körper. So habe ich das zumindest verstanden.

Wieder auf der Station habe ich nun endlich ein Bett in einem Zweibett-Zimmer und ich kann mich in Ruhe einrichten und mein Gepäck verstauen. Das andere Bett ist bisher frei. Das ist gut, denn langsam werde ich aufgeregt und so kann mich wenigstens niemand vollquatschen. 

Das letzte wunderschöne Selfie im Krankenhausbett, noch mit Brüsten.

Die Zeit vergeht einfach nicht und ich kann nicht schlafen. Es ist mitten in der Nacht. Ich liege auf dem Bauch, das letzte Mal schmerzfrei für die nächsten Wochen. Mich überkommt eine riesige Welle Tränen. Danach fühle ich mich besser und kann endlich einschlafen.

Die Schwester weckt mich und ich soll mich umziehen: Netzunterhose, Krankenhauskittel, Haarnetz. Alle Piercings raus. Bis ich tatsächlich aufgerufen werde dauert es allerdings noch ein bisschen. So liege ich „OP-fertig“ im Bett, meine Mama hält meine Hand und wir warten, bis es soweit ist. Ich bin ungeduldig. Ich möchte das jetzt endlich hinter mich bringen.

Es geht los. Mein Bett wird aus dem Zimmer geschoben. Im OP-Bereich wechsle ich auf eine Liege. Mein Kittel wird aufgebunden und eine Decke über mich gelegt. Der Narkosearzt stellt sich vor, ich bekomme einen Zugang gelegt und werde überall verkabelt. Versuche ruhig zu bleiben. Irgendwer macht Witze mit mir, ich habe vergessen worüber, musste aber lachen. Ich höre die Stimme meines Arztes im Hintergrund und werde direkt ruhiger. Er kommt nochmal zu mir und fragt, wie es mir geht und ob alles ok ist. Ich sage gut und ja und meine es ernst. Er sagt mir, ich sei sehr tapfer, dass ich keine Angst haben muss und wir uns später wiedersehen. Mir wird die Sauerstoffmaske vor Nase und Mund gehalten. Ich soll tief ein- und ausatmen. Gleich habe ich keine Brüste mehr. Morgen kann ich meinen Bauchnabel im Stehen sehen. Ich schlafe ein.


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