Zwischen
Diagnose und Operation lagen vier Wochen. Das war meine Entscheidung.
Eigentlich sollte die Operation relativ zügig nach dem Gespräch stattfinden.
Allerdings hätte ich dann sowohl meinen 20. Geburtstag im Krankenhaus feiern
als auch unseren schon ewig geplanten Familien-Sommerurlaub absagen müssen.
Beides wollte ich vermeiden und mein Arzt gab mir das Ok. So hatte ich dreißig
Tage Zeit über alles nachzudenken. Ich musste mich nicht Hals über Kopf damit
abfinden, dass mein Leben jetzt anders verläuft als gedacht. Ich konnte diesen
riesigen zu verarbeitenden Brocken, der da vor mich geworfen wurde, Stück für
Stück kleinhacken und mir in Ruhe überlegen, wie ich diesen Weg schaffen kann,
der da nach dem Brocken auf mich wartet. Nach wie vor bin ich sehr glücklich
über diese Entscheidung und die Möglichkeit, dass die Operation nicht sofort
durchgeführt werden musste.
Meine Bewältigungsstrategie, wie ich den Brocken klein bekomme, hatte ich schnell herausgefunden. Humor. Sobald sich die Gelegenheit ergab, habe ich Witze über mich selbst, die Krankheit und ihre Folgen gerissen. So konnte ich das irgendwie für mich erträglich machen und akzeptieren. Das hat ziemlich gut funktioniert und mir Stärke und Mut gegeben. Hauptsache kein Drama daraus machen. Das ist es nämlich nicht. Es sind nur Brüste. Ich muss nur meine Brüste abgeben und bekomme im Gegenzug dafür die Chance auf ein langes gesundes Leben. Für mich klingt das sogar nach einem ziemlich fairen Tausch. Es hätte mich viel viel schlimmer treffen können.
So bin ich
dann tatsächlich froh, als es endlich soweit ist und ich am 15.08.2019, ein Tag vor der
Operation, um 7 Uhr morgens vor der Anmeldung von der Station, auf der ich jetzt
zum dritten und hoffentlich letzten Mal liege, stehe. Heute wird links mein
Wächterlymphknoten markiert. Das muss immer ein Tag vor der OP gemacht werden
und so bin ich heute schon hier.
Natürlich geht erstmal alles schief. Für mich ist bisher kein Bett bereit, weil
ich auf dem Plan der Schwestern erst ab morgen auftauche. Die Ärzte bei der
Lymphknotenmarkierung, die zufällig in einem komplett anderen Gebäude
stattfindet, warten aber anscheinend schon auf mich. Ich stelle also meinen
Koffer erstmal hinter die Anmeldung, bekomme meine Akte in die Hände gedrückt
und soll schnell loslaufen. Warum muss es direkt stressig starten? Ich hasse
das.
Dort angekommen, verlaufe ich mich erstmal in dem Gebäude, werde dann aber
eingesammelt und in den Untersuchungsraum gebracht. Oberkörper freimachen. Ich
versuche, das Gefühl meinen BH auszuziehen zu genießen. Heute ist der letzte
Tag, an dem ich das kann. Ab morgen brauche ich ihn nicht mehr. Das hier sind
die letzten Menschen, die vor der OP morgen meine Brüste sehen. Ist irgendwie
echt verrückt. Ich versuche, es nicht traurig zu finden. Es werden vier
Spritzen mit leicht radioaktivem Kontrastmittel rund um meine Brustwarze gespritzt.
Jetzt muss ich eine Stunde warten und dabei meine Brust massieren, damit die
Lymphknoten das Kontrastmittel aufnehmen oder so. Dazu werde ich wieder zurück
auf die Station geschickt. Dort habe ich immer noch kein Zimmer und so sitze
ich 45 Minuten im Wartezimmer und komme mir gar nicht komisch dabei vor, meine
Brust zu massieren. Zurück bei der Nuklearmedizin liege ich auf einer Liege und
werde in ein kegelförmiges Gerät geschoben, dessen Namen ich vergessen habe. Etwa
20 Minuten darf ich mich nicht bewegen, dann sind die Aufnahmen fertig. Nun
wird noch mit einem kleinen Stab, der mich an einen Mini-Metalldetektor
erinnert, über meine Achsel gefahren. Man hört ein Piepsen, das immer schneller
und kräftiger wird, je näher die Ärztin an den „radioaktiv markierten
Lymphknoten kommt“. An der Stelle, an der es ununterbrochen piepst, macht sie
mit einem Stift ein Kreuz auf die Haut, damit der Operateur morgen weiß, wo sich
etwa der Wächterlymphknoten befindet. Dieser wird dann während der OP untersucht.
Wenn er gesund ist, sich dort also keine Krebszellen nachweisen lassen, ist das
ein sehr gutes Zeichen: Dann hat der Krebs noch nicht gestreut und es befinden
sich keine Metastasen im restlichen Körper. So habe ich das zumindest
verstanden.
Wieder auf
der Station habe ich nun endlich ein Bett in einem Zweibett-Zimmer und ich kann
mich in Ruhe einrichten und mein Gepäck verstauen. Das andere Bett ist bisher
frei. Das ist gut, denn langsam werde ich aufgeregt und so kann mich wenigstens
niemand vollquatschen.
Die Zeit vergeht einfach nicht und ich kann nicht schlafen. Es ist mitten in der Nacht. Ich liege auf dem Bauch, das letzte Mal schmerzfrei für die nächsten Wochen. Mich überkommt eine riesige Welle Tränen. Danach fühle ich mich besser und kann endlich einschlafen.
Die Schwester weckt mich und ich soll mich umziehen: Netzunterhose, Krankenhauskittel, Haarnetz. Alle Piercings raus. Bis ich tatsächlich aufgerufen werde dauert es allerdings noch ein bisschen. So liege ich „OP-fertig“ im Bett, meine Mama hält meine Hand und wir warten, bis es soweit ist. Ich bin ungeduldig. Ich möchte das jetzt endlich hinter mich bringen.
Es geht los. Mein Bett wird aus dem Zimmer geschoben. Im OP-Bereich wechsle ich auf eine Liege. Mein Kittel wird aufgebunden und eine Decke über mich gelegt. Der Narkosearzt stellt sich vor, ich bekomme einen Zugang gelegt und werde überall verkabelt. Versuche ruhig zu bleiben. Irgendwer macht Witze mit mir, ich habe vergessen worüber, musste aber lachen. Ich höre die Stimme meines Arztes im Hintergrund und werde direkt ruhiger. Er kommt nochmal zu mir und fragt, wie es mir geht und ob alles ok ist. Ich sage gut und ja und meine es ernst. Er sagt mir, ich sei sehr tapfer, dass ich keine Angst haben muss und wir uns später wiedersehen. Mir wird die Sauerstoffmaske vor Nase und Mund gehalten. Ich soll tief ein- und ausatmen. Gleich habe ich keine Brüste mehr. Morgen kann ich meinen Bauchnabel im Stehen sehen. Ich schlafe ein.